Warum beschäftigen Sie sich eigentlich so intensiv mit den Wechseljahren?

Diese Frage hörte ich nicht zu ersten Mal. Aber neulich stellte sie mir Frau Oehmichen bei unserem Zusammentreffen, und dies hat mich angeregt, neu darüber nachzudenken.
Nun, zum einen durfte ich recht früh in meinem Leben Erfahrungen sammeln mit ersten Symptomen der Wechseljahre. So begriff ich, dass diese Zeit eine ganz besondere ist.
Es ist eine verändernde, krisenhafte Zeit, die viele Fragen aufwirft und große Chancen beinhaltet.
Das konnte und kann ich immer wieder an mir selber beobachten, aber auch an anderen Menschen, die zu mir in die Praxis kommen.
Gleichzeitig war und bin ich oft fassungslos, wie mit dieser Zeit heute umgegangen wird.

Ein anderer Begriff für die Wechseljahre lautet Klimakterium und leitet sich vom griech. Klimax = Stufe, Staffel, Leiter, Steigerung ab.
Fragt man aber Menschen in dieser Zeit, was sie mit dem Begriff verbinden, so erhält man allermeist nur negative Aussagen( Hitzewallungen, Schlafstörungen ,Verlust an körperlicher und sexueller Attraktivität, Abschied aus dem Leben).

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Leistungsfähigkeit, Sportlichkeit und sexuelle Attraktivität ganz hoch oben angesetzt werden. Bis zu den Wechseljahren gelingt es meist, das Altern aufzuhalten. Aber dann kündigen sich körperliche und geistige Veränderungen an.
Es beginnt eine Verunsicherung und notwendige Neuorientierung.
Die Antworten unserer Zeit auf diese Phase sind Hormonersatz, Diäten und Fitnesswahn.
Verzweifelt wird versucht, das Gewesene festzuhalten.

Dabei geht es in dieser Zeit um einen tief greifenden, oftmals turbulenten Wechselprozess, in dem Altes verlassen und Neues entdeckt werden kann.
Die Wechseljahre betreffen übrigens auch die Männer. Oftmals suchen diese aber vergeblich nach einem Ansprechpartner in dieser Zeit. Oder sie trauen sich nicht so recht, darüber zu reden oder mehr zu erfahren. Daher sind meine Vorträge für Männer bislang noch schwach besucht.
Es scheint, dass Frauen mehr noch unter ihren Wechseljahren leiden.

Nicht immer stehen dabei die körperlichen Veränderungen im Vordergrund. Oftmals verändern sich die Dinge auf der ganzen Bandbreite des Lebens .Die eigenen Eltern oder die Schwiegereltern können krank und pflegebedürftig werden oder sterben. Häufig verlassen die Kinder in dieser Zeit das Elternhaus. Dies ist besonders für die Mütter schmerzlich und stellt eine neue Herausforderung an die bleibende Paarbeziehung. Oftmals zerbrechen langjährige Paarbeziehungen oder es gibt Veränderungen im Berufsleben. Viele Menschen versuchen in Krisenzeiten erst einmal davonzulaufen. Ehekrisen werden häufig so bearbeitet, dass sich der eine oder andere-oder beide-Partner in eine neue Beziehung stürzt. Gesundheitliche Krisen werden oftmals ignoriert.
Unsere Spiel-, Spass-,Freizeit- und Suchtgesellschaf bietet unsägliche Möglichkeiten der Zerstreuung.
Das Problem all dieser Lösungsmöglichkeiten ist nur, dass sie keine wirklich belastbare und tragende Weisheit enthalten, sondern häufig neue Probleme schaffen.
Die körperlichen Veränderungen versuche ich in meiner Praxis zunächst mit Basismaßnahmen anzugehen. Dazu zählen individuelle Beratung zu Ernährung, Bewegung, Entgiftung und Entspannung.
Im medikamentösen Bereich gibt es dann eine Fülle von Möglichkeiten- nicht nur synthetische oder auch bioidentische Hormone.
Die Homöopathie, Orthomolekulare– und Phytotherapie und die Hildegardmedizin bieten viele Behandlungsansätze.
Ich teste dies am liebsten individuell aus.

Aber die eigentlichen tiefen Veränderungen im seelisch-geistigen Bereich brauchen eine andere Begleitung.
Hier sind das Gespräch und Coaching gefragt.
Und auch deshalb habe ich die Schule für angewandte Geburtshilfe gegründet, um dort durch Vorträge, Seminare und Einzelcoaching die Menschen in dieser Zeit besser begleiten zu können.
Es fällt uns Menschen schwer in dieser Zeit der Reizüberflutung noch uns selber zu spüren.
Wir müssen wieder eine neue Achtsamkeit für uns lernen.
Die Wechseljahre sind eine Zeit, in der wir eine Bilanz unseres bisherigen Lebens ziehen können und uns fragen dürfen, wie wir weiter leben möchten.
Wir sind aufgerufen zur Neuorientierung unserer Lebensbereiche, wie Partnerschaft, Arbeit, Gesundheit, Werte und Spiritualität.
Diese Zeit bietet die Chance, sich von alten, lebenseinschränkenden Mustern zu lösen.
Und sie bietet die Möglichkeit zur Versöhnung: Aussöhnung mit dem eigenen Leben, dem eigenen Körper, den Eltern, den Lebenspartnern.
Versöhnung setzt immer Mut voraus, sich dem Schmerz zu stellen und braucht oftmals professionelle Begleitung.
Einige Menschen berichten auf Nachfrage, dass das Schöne im Wechsel und Alter sei, immer mehr zu sich selber zu finden.
Wer es schafft, sich aus der einseitig körperlichen Verhaftung schrittweise zu lösen, kann sich auch mutig der Sinnfrage stellen und der Frage nach dem Woher und Wohin und Wozu.
Oftmals entstehen dann ganz neue( konkrete) Ziele.
Ein kurzes Gedicht von Hilde Domin veranschaulicht diesen Gedanken:

Es knospt
Unter den Blättern
Das nennen sie Herbst.

Als Knospen unter den Blättern, so können wir den Wechsel verstehen.
Mir macht es große Freude Menschen ganzheitlich auf ihrem je eigenen Weg in dieser Lebensphase begleiten zu dürfen.